Zum Mitverschulden des Absenders bei Verlust von Transportgut

BGH, Urteil vom 24. Juni 2010 – I ZR 73/08

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Neuss vom 18. Juni 2007 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittel.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Transportversicherer der T. GmbH in Dortmund (im Weiteren: Versenderin zu 1) und der C. GmbH in Stuttgart (im Weiteren: Versenderin zu 2). Sie nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, aus abgetretenem Recht der Versenderinnen wegen Verlusts von Transportgut in zwei Fällen auf Schadensersatz in Anspruch. Beide Versenderinnen nehmen am sogenannten EDI-Versandverfahren der Beklagten teil.

Im Schadensfall 1 beauftragte die Versenderin zu 1 die Beklagte am 24. März 2005 mit der Beförderung eines Pakets nach Scarmagno/Italien. Das Paket, das nach der Darstellung der Klägerin Ware im Wert von 2.490 € enthielt, kam bei der Empfängerin nicht an.

Im Schadensfall 2 beauftragte die Versenderin zu 2 die Beklagte am 30. September 2005 mit dem Transport von sieben Paketen an eine in Karlsruhe ansässige Empfängerin. Ein Paket, das nach der Darstellung der Klägerin Waren im Wert von 2.430 € enthielt, kam bei der Empfängerin nicht an. Die Beklagte zahlte für den Verlust des Gutes an die Versenderin zu 2 eine Entschädigung in Höhe von 510 €.

Die von der Beklagten im hier maßgeblichen Zeitraum verwendeten Beförderungsbedingungen (Stand 1/2005) enthielten auszugsweise folgende Regelungen:

2. Serviceumfang

Um die vom Versender gewünschte kurze Beförderungsdauer und das niedrige Beförderungsentgelt zu ermöglichen, werden die Sendungen im Rahmen einer Sammelbeförderung transportiert. Der Versender nimmt mit der Wahl der Versendungsart in Kauf, dass aufgrund der Massenbeförderung (…) nicht die gleiche Obhut wie bei einer Einzelbeförderung gewährleistet werden kann.

Eine Kontrolle des Transportweges durch Ein- und Ausgangskontrollen an den einzelnen Umschlagstellen innerhalb des U.-Systems ist nicht Gegenstand der vereinbarten Leistung.

Der Versender sollte unter Berücksichtigung von Art und Wert des Gutes von der Möglichkeit Gebrauch machen, durch korrekte Angabe des Warenwerts und Zahlung des in der Tariftabelle geregelten Zuschlags eine Beförderung seiner Sendung in der Leistungsart „Wertpaket“ zu wählen. In dieser Leistungsart werden Pakete unter zusätzlichen Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen transportiert.
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte hafte für den Verlust der Transportgüter in voller Höhe. Sie hat die Beklagte daher auf Zahlung von 4.410 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.

Die Beklagte hat zu ihrer Verteidigung geltend gemacht, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderinnen anrechnen lassen, weil diesen bekannt gewesen sei, dass durchgängige Ein- und Ausgangskontrollen nicht durchgeführt würden.

Das Berufungsgericht hat die im ersten Rechtszug erfolgreiche Klage in Höhe von 2.460 € nebst Zinsen für begründet erachtet und sie im Übrigen abgewiesen.

Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit es vom Berufungsgericht abgewiesen worden ist. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.


Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat eine unbeschränkte Haftung der Beklagten für den Verlust der Pakete nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR und § 425 Abs. 1, § 435 HGB angenommen. Die Klägerin müsse sich allerdings ein Mitverschulden der Versenderinnen gemäß § 425 Abs. 2 HGB, § 254 Abs. 1 BGB anrechnen lassen, weil diese zumindest hätten wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführe. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Beförderungsbedingungen der Beklagten, nach denen eine Schnittstellenkontrolle als nicht vereinbart gelte. Dementsprechend sei bei dem im Streitfall gegebenen Warenwert der Schadensersatzanspruch der Klägerin um insgesamt 1.950 € zu kürzen. Ein weiteres Mitverschulden wegen unterlassener Wertdeklaration komme nicht in Betracht.

II. Die gegen die Annahme eines Mitverschuldens der Versenderinnen gerichtete Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

1. Die grundsätzlich unbeschränkte Haftung der Beklagten für die in Rede stehenden Warenverluste nach Art. 17 Abs. 1, Art. 29 CMR (Schadensfall 1) und § 425 Abs. 1, § 435 HGB (Schadensfall 2) steht in der Revisionsinstanz nicht mehr im Streit.

2. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Mitverschuldenseinwand auch im Fall des qualifizierten Verschuldens i.S. von § 435 HGB, Art. 29 Abs. 1 CMR zu berücksichtigen ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urt. v. 13.8.2009 – I ZR 76/07, TranspR 2010, 145 Tz. 13; zu Art. 29 CMR, BGH, Urt. v. 21.1.2010 – I ZR 215/07, TranspR 2010, 189 Tz. 18, jeweils m.w.N.).

3. Die Revision wendet sich mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Klägerin müsse sich ein Mitverschulden der Versenderinnen an der Entstehung des geltend gemachten Schadens zurechnen lassen, weil die Versenderinnen hätten wissen müssen, dass die Beklagte keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführe.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats kann ein Mitverschulden des Auftraggebers eines Spediteurs/Frachtführers nicht allein darin gesehen werden, dass dieser Transportaufträge in Kenntnis dessen erteilt, dass der Transporteur keine durchgehenden Schnittstellenkontrollen durchführt. Die Frage, ob sich eine derartige Kenntnis aus Nummer 2 der Beförderungsbedingungen der Beklagten entnehmen lässt, braucht daher nicht entschieden zu werden. Denn unabhängig davon reichen jedenfalls die bloße Kenntnis und Billigung der Transportorganisation des Spediteurs/Frachtführers durch einen Auftraggeber für sich gesehen nicht aus, um ein Mitverschulden zu bejahen (BGH, Urt. v. 15.11.2001 – I ZR 182/99, TranspR 2002, 302, 304; Urt. v. 13.2.2003 – I ZR 128/00, TranspR 2003, 255, 258; Urt. v. 17.6.2004 – I ZR 263/01, TranspR 2004, 399, 402; Urt. v. 30.3.2006 – I ZR 57/03, NJW-RR 2006, 1264 Tz. 35 = TranspR 2006, 250, 252; Urt. v. 11.9.2008 – I ZR 118/06, TranspR 2008, 362 Tz. 17). Eine Anspruchsminderung nach § 425 Abs. 2 HGB i.V. mit § 254 Abs. 1 BGB wegen Beauftragung eines ungeeigneten Transportunternehmens kommt nach der Rechtsprechung des Senats erst dann in Betracht, wenn der Versender einen Spediteur/Frachtführer mit der Transportdurchführung beauftragt, von dem er weiß oder zumindest hätte wissen müssen, dass es in dessen Unternehmen aufgrund von groben Organisationsmängeln immer wieder zu Verlusten kommt. Die Auftragserteilung stellt unter solchen Umständen die Inkaufnahme eines Risikos dar, dessen Verwirklichung allein dem Schädiger anzulasten unbillig erscheint und mit dem § 254 BGB zugrunde liegenden Gedanken von Treu und Glauben unvereinbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 29.4.1999 – I ZR 70/97, TranspR 1999, 410, 411; BGH TranspR 2004, 399, 402). Die Revisionserwiderung zeigt keine Gesichtspunkte auf, die Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung geben.

b) Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass den Versenderinnen vor Erteilung der Beförderungsaufträge bekannt war oder zumindest hätte bekannt sein müssen, dass es im Unternehmen der Beklagten wegen grober Organisationsmängel immer wieder zu Warenverlusten gekommen war. Anhaltspunkte für eine solche Annahme ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Beklagten in den Vorinstanzen.

Ein Mitverschulden der Versenderinnen im vorliegenden Fall ergäbe sich auch dann nicht, wenn sie die Geschäftsbeziehung zur Beklagten nach den streitgegenständlichen Schadensfällen fortgesetzt hätten. Dieser Umstand könnte sich nur auf künftige Schäden auswirken. Ein eingetretener Verlust lässt sich durch einen Abbruch der Geschäftsbeziehungen nicht mehr verhindern (vgl. BGHZ 149, 337, 356; BGH, Urt. v. 14.5.1998 – I ZR 95/96, TranspR 1998, 475, 477).

III. Danach ist das angefochtene Urteil auf die Revision der Klägerin insoweit aufzuheben, als wegen eines Mitverschuldens der Versenderinnen zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist. Die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

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